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Veränderung und Systemstabilität

  • 4 min read

In Zeiten und Situationen, in denen Veränderung gewünscht und notwendig ist – also erforderlich ist, um eine Not zu wenden; in Zeiten und Situationen in denen Möglichkeiten, Alternativen und Lösungen herbeigesehnt werden, die das Ende einer wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder persönlichen Problemsituation versprechen, also in wie auch immer gearteten Krisensituationen, lassen sich Tendenzen / Automatismen erkennen, die eigentlich genau das verhindern, was sie vorgeben lösen zu wollen.

Autopilot

Wir treffen in gesellschaftlichen, geschäftlichen und persönlichen Veränderungsprozessen auf Aktionismus, unendlich viele Meinungen, ständig erhöhte Bemühungen und Versuche, Geschäftigkeit und viel (Change- oder Krisen-) Kommunikation. Letzteres wohl eher ein Euphemismus für Gerede, Worthülsen und Stereotype.

Klein und fein…

So lange eine Krise und / oder ein Veränderungsprozess im kleinen Rahmen verläuft (kleine Organisationseinheit, persönliche Angelegenheiten, überschaubare Tragweite) besteht die hohe Wahrscheinlichkeit diese ohne Getöse und großes Aufheben zu lösen. Manchmal hilft die Zeit, manchmal schafft das System es selbst, manchmal hilft eine externe Unterstützung. Manchmal ist es die Mischung daraus. Und manchmal geht alles den Bach runter. Man kann es auch Evolution nennen und / oder Herrn Darwin in diesem Zusammenhang bemühen.

Viele Köche und viele Gäste

Wird der Rahmen größer, weil das System größer ist, oder wird der Rahmen größer, weil über die Betroffenen hinaus sich weitere „Stakeholder“ betroffen fühlen, die weitere „Stakeholder“ sich betroffen fühlen lassen, haben wir auf einmal so viele Köche am Herd, dass es – sagen wir – „schwierig“ wird. Wenn die Küche noch nicht voll genug ist, kann man natürlich noch weitere Mützenträger und Kochlöffelbesitzer betroffen machen.

Bekannt und bewährt

Wenn nun alle am Herd bleiben wollen muss eine Lösung her. Das ist dann allerdings selten die Beste. Vielmehr ist es der kleinste gemeinsame Nenner aus Kompromissen, Zugeständnisse – nah am bisher Bekannten und Bewährten. Veränderungen und Lösungen gerne, aber lieber mehr vom Selben als mal was Neues. Und bitte mit schnellen Resultaten.

Was bremst und verhindert

Wirksame Veränderung (vielleicht kann man sie auch „echte“ Veränderung nennen) wird durch einen feinen Mix gebremst, dessen Zutaten (in variablen Anteilen, aber in der angegebenen Reihenfolge) vielen Menschen irgendwie bekannt vorkommen dürften:

  1. Komplexitätsreduktion der Situation und Problemvielfalt auf eine Kernaussage.
  2. Der Fokus auf die einzig richtige Lösung – neue Alternativen oder Möglichkeiten oder Meinungen befinden sich nicht im Schein des Suchscheinwerfers.
  3. Ständige Wiederholung der Stoßrichtung, des Slogans, der Buzzwords – bis das Gehirn den Widerstand aufgibt und selbige der Bequemlichkeit halber als wahr übernimmt (ja, dafür gibt es Studien – also zur Faulheit des Gehirns).
  4. Konformität als Schmiermittel im System und die erlernte Unfähigkeit den jeweiligen Status Quo im Zeitablauf konsequent in Frage zu stellen.
  5. Non-Konformisten, Change-Treiber, Kreative, Vor-, Durch- und Nach-Denker, Visionäre verlassen (aktiv oder passiv) die Küche.
  6. Das System gewinnt neue Unterstützer zur Selbstbestätigung, wird homogener und wächst beträchtlich – mehr vom Selben.

Fehlallokation

In Organisationen und System wird so eine Menge Energie in die Beschäftigung mit sich selbst, die Stabilisierungsbemühungen für das System, die Differenzierung / Abgrenzung und Positionierung sowie die Bestätigung der Ursprungsannahmen der Veränderungsinitiatoren gesteckt, die für wirksame und nachhaltige Veränderung fehlt.

Der Haken

Wenn wir selbst in diesem System stecken, merken wir schlechter bis gar nicht was passiert. Wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.

Die Frohe Botschaft

Die frohe Botschaft, wenn auch nicht die, die unsere eigene Bequemlichkeit und unseren Wunsch nach Zugehörigkeit und Anerkennung bedient: Wer aus dem Wald heraustritt, mal eine Pause macht und sich das, was in seinem Wald (Organisation, Verein, Firma, Partei… was auch immer) aus der Beobachterposition und ohne direkt zu (be-)werten und ideologiefrei, zu Gemüte führt und bewusst macht, wird mit erhöhter Klarheit belohnt – versprochen!

Nebenwirkungen

Es kann sein, dass wir nicht zurück in diesen Wald wollen. Und so kann wirklich Veränderung beginnen.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen bei Eygenbrodt & Goldeswerth unter dem Titel Veränderungsbremsen – oder: Von Bäumen und Köchen