Zum Inhalt springen

Leichtigkeit

  • 8 min read

Ich weiß nicht, ob ich so erzogen wurde oder was mich genau wie geprägt hat. Ich weiß bzw. habe eines verinnerlicht: Leichtigkeit oder gar Leichtlebigkeit ist maximal für die anderen.

Auch wenn Leichtlebigkeit ein wunderschönes Wort ist, das ich mit Unbeschwertheit, Frohsinn, Urvertrauen, Frühling und einer frischen Brise verbinde – Leichtlebigkeit macht man eher nicht. Das ist etwas für die Anderen. Und die werden schon sehen, was sie davon haben. Wenn sie es (mit „es“ ist insbesondere das Leben – oder was „man“ darunter so versteht – gemeint) zu leicht nehmen.

Lyrik

Mannheimer Rapper rappten einst „wenn es nicht hart ist, ist es nicht das Projekt“, Menschen, denen etwas (speziell und allgemein das Leben als solches) leicht fällt oder sie es sich (von außen gesehen) zu leicht machen, sind entsprechend verdächtig. Nicht nur, weil die Mannheimer das so sagen.

Verdächtig

Leicht ist unverantwortlich. Leicht ist unbesorgt – und Sorge muss man betreiben. Vorsorge zum Beispiel. Also sich sorgen, bevor etwas eintritt. Kümmern, planen und vorbereiten.

Damit ist es dann so wie mit der Reklame für Spülmittel: Während in Villa Riba noch abgewaschen wird, wird in Villa Bajo schon gefeiert. Oder andersrum: Die einen bereiten sich vor oder bereiten etwas nach und sind auf jeden Fall beschäftigt. Die anderen tun. Und dann auch noch etwas Heiterfröhlichleichtes.

Planung = Sicherheit

Klar, erst die Arbeit, dann das Vergnügen. So sagt ein weit vererbter Spruch, der immer noch tief in vielen von uns still, aber hoch wirksam ist. Übertragen bedeutet das: Bereite Dich vor, habe einen Plan, mache Deine Hausaufgaben. Und so weiter.

Oder so ähnlich.

Erfolg?

Dem inne wohnt der trügerische Schluss, dass wir uns vorbereiten können, dass Planung mindestens die Hälfte des Erfolgs (was immer das auch sein mag) sei und dass der Lohn, die Belohnung und vielleicht auch der Genuss und die Freude ohne stringente und gründlich-minutiöse Planung gar nicht möglich ist. Und wenn es möglich sein sollte, dann ist es verdächtig – und vermutlich nicht verdient.

Und? Ist das so?

Natürlich kann man das nicht soooo pauschal sagen. Oder anders: Es kommt drauf an. Das sagen Berater übrigens recht häufig. Manche sagen, Berater sagen das, weil sie keine Ahnung haben. In Wahrheit ist es anders: Ohne Kenntnis der Rahmenbedingungen, des Kontext kann man eben keine schlaue Beratung durchführen. Zumindest in diesem Aspekt sollten Berater Zustimmung erhalten.

Worum geht es noch mal?

Um Leichtlebigkeit und Planung. Oder umgekehrt. Und eine Art Experiment. Oder meine Erfahrung, die einst als Experiment begann und nun zu deutlich mehr Leichtlebigkeit geführt hat.

Ich weiß nicht, warum ich gerade an den Begriff „Mindset“ denken muss. Vielleicht, weil er gerade überall im „Business“-Kontext präsent ist? Ja, auch das. Allerdings wohl mehr deshalb, weil ich damit den Begriff und das Konzept der Haltung verbinde – Geisteshaltung und Einstellung.

Haltung bitte!

Meine Geisteshaltung, meine Grundeinstellung ist so etwas wie ein Teil meines Betriebssystems. Etwas Grundlegendes, etwas zu Grunde Gelegtes (schreibt der Duden das auch so?). Darüber muss ich nicht Logik kommen oder mit Nachdenken oder Rationalisieren.

Das ist einfach so. Geprägt und geformt durch Erleben, Erfahren, Experimente – durchgefühlt statt antrainiert.

Analytiker

Antrainert hatte ich als analytisch unterwegs Seiender mir das mit Excel-Tabellen, Checklisten und Ähnlichem. Auch beim Reisen. Immer irgendwie mit Plan. Zumindest in den Anfangszeiten meiner Post-Pauschalreisen-Ära, als ich begann mehrere Tage oder Wochen zu Fuß und mit dem (mehr oder weniger) benötigten Gepäck über Stock und Stein, durch Tal und über Berg zu laufen.

Restriktionen

Der Reiseführer schlägt Etappen vor, die verfügbaren Urlaubstage bestimmen die maximale Reisedauer, das Budget den vermeintlichen Komfortgrad bei Kost und Logis – und ebenfalls die Reisedauer. Experten empfehlen die am besten geeignete Ausrüstung, das Wetter empfiehlt den Reisezeitraum im Jahr.

Viele Parameter, die zu berücksichtigen sind.

Dazu kommen noch die Auswahl und Vorbuchung der Unterkünfte und der Transportmittel für die An- und Abreise und für die Transfers.

Das kann man schon sehr präzise planen. Das ist grundsätzlich gut so. Und Anfangs habe ich es auch so gemacht.

Und dann…

..bis ich erfahren durfte, dass die ganze Planung ratz-fatz für die Tonne war, wenn nur ein Rädchen sich nicht si drehte, wie geplant bzw. erwartet. Beispiele gefällig?

  • Körperliche Kondition und Anforderung der Etappe passen nicht zusammen (kurz gesagt: zu schlapp, um zum Etappenziel zu kommen)
  • Nicht berücksichtigte Wetterphänomene (ja, Schnee kann auch im Sommer in den Alpen vorkommen und zur Umkehr zwingen)
  • Wegsperrungen und Umleitungen (unter anderem auch wegen Wetterschäden)
  • Verdorbener Magen
  • Und so einiges mehr.

Wie im „richtigen“ Leben halt..

(Wobei: Was ist eigentlich „richtiges“ Leben? Nur die Workseite von Work-Life-Balance?)

Verkettung

Der Effekt: Sobald es zu einer Verzögerung – am besten am Anfang der Tour – kam, musste ich alle weiteren Etappen umplanen: Unterkünfte stornieren / umbuchen in der Hoffnung, dass da noch was geht, neue Wege finden (falls nicht selbsterklärend beschildert oder markiert), hoffen, dass Transfers noch verfügbar sind. Und vieles andere mehr.

Die Steigerung: Das Unvorhergesehene passiert in der Folge der Tour noch einmal. Oder noch häufiger.

Spassvollbremsung

Zack ist der Spaß vorbei. Der Stresspegel steigt, der Druck auch – jedenfalls für diejenigen, die sich gerne und am liebsten an (ihre) Pläne halten. Also die Beamten und Controller in uns.

Also besser planen?!

Nein, den Druck rausnehmen, Unvorhergesehenes akzeptieren und willkommen heißen – was zugegebenermaßen echt nicht einfach ist. Den Weg und die Tour, die Reise als solche als Ziel und „Erfolg“ sehen.

Die Einhaltung des Plans ist kein Qualitätsmerkmal. Im Gegenteil: Sie kann bei Dickköpfen, die Wetter oder Leistungsfähigkeit (oder beides) ignorieren und nicht den Plan ändern, zu bedrohlichen Situationen führen. Immer weiter ist da nicht die richtige Option.

Ich plane durchaus meine Touren. Allerdings ganz anders als früher. Nämlich mit einer Leichtigkeit, die ich einüben und lernen durfte und die zu einer deutlich höheren Qualität im Sinne von Erleben und Genuss auf Reisen geführt hat.

Konkret

Wenn ich zum Beispiel nur eine Woche zur Verfügung habe und die Tour grob festgelegt ist (zum Beispiel die ersten 6 Etappen des Salzalpensteigs), dann lege ich die Anfahrt und die erste Übernachtung fest. Das ist für mich bequem und entstresst mich schon zu Beginn.

Auch wenn ich genau weiß, wann ich wieder zurück sein will, verzichte ich nach Möglichkeit auf die den Kauf eines Bahntickets mit fixen Reisedaten. Das gibt mir tatsächlich das Gefühl noch freier unterwegs zu sein. Ich könnte länger bleiben. Oder früher zurück. Oder was auch immer.

Und dann? Dann gucke ich, wie weit ich komme. Ich gucke, wie weit ich gehen mag. Das kann mehr oder weniger sein als in der Empfehlung des Reiseführers, es kann auch ein ganz anderer Weg sein, weil ich einen Abzweig genommen habe, den mir ein Mensch, dem ich begegnet bin, empfohlen hat. Ich lasse mich sozusagen treiben – ohne mich treiben zu lassen.

Da es eben nicht diesen minutiösen Plan gibt und ich die Qualität für mich anders bewerte, gebe ich dem Zufall und den Blicken über den Tellerrand eine Chance. Und damit gleichzeitig mir.

Sorgen?

Die „Sorge“ um die Unterkunft am Ende des Tages (bekomme ich eine? Wie mag die wohl sein?) ist schon lange keine mehr. Schon gar nicht, wenn ich mich in touristisch gut ausgebauten Regionen wie im Alpenraum bewege. Es gibt Findemöglichkeiten im Netz, Zimmer-Frei-Schilder unterwegs und immer Menschen, die man fragen kann. Gerade die beiden letzteren Möglichkeiten haben mir immer tolle Unterkünfte gebracht, wobei ich sagen muss, dass ich die kleinen, persönlich geführten Almen, Pensionen und Gasthöfe am liebsten mag.

Und wenn es mal ganz schlimm ist? Ist es nicht. Ich kann mir die Unterkunft immer vorher ansehen und weiterziehen. Und wenn weiterziehen nicht geht oder ich zu müde bin? Egal, ich bin am nächsten Tag wieder weg;-)

Die Moral von der Geschicht?

Gibt es überhaupt eine Moral? Diese Touren auf diese Art und Weise machen riesig Freude. Mit etwas Leichtigkeit angegangen, geben Sie Dir eben diese Leichtigkeit zurück. Das passiert in den Begegnungen mit anderen, mit Dir selbst. Du übst Vertrauen und baust es auf. Vertrauen in Dich selbst und eine Art Urvertrauen.

Der Haken: Du kannst keinen verantwortlich machen für das Misslingen Deiner Unternehmung – außer Dich selbst.

Das Gute: Du hast das Gelingen in Deiner Hand.

Die Parabel für den „Alltag“

Pläne sind schon ganz ok. Blöd wird es, wenn sie zum Selbstzeck werden und sie a) auf Teufel-komm-raus eingehalten werden müssen um b) auf jeden Fall das Ziel zu erreichen. Das kann eine Erfolgsdefinition sein, aber ich teile sie nicht und kann sie konsequenterweise nicht empfehlen.

Ein Ziel vor Augen zu haben ist enorm wichtig! Eine Idee von dem Weg dorthin zu haben ebenfalls.

Das Wichtigste allerdings ist: Den ersten Schritt zu gehen. Unterwegs kommen Situationen und Herausforderungen auf uns zu, die wir niemals haben planen können. Und genauso begegnen uns immer rechtzeitig Ideen, Möglichkeiten und Menschen, die uns helfen diese Herausforderungen zu bewältigen.

Je mehr wir lernen loszulassen, aufgeben alles planen und kontrollieren zu wollen, zulassen, dass der Weg schlussendlich ein anderer sein kann – ebenso wie das Ziel – desto leichter wird es tatsächlich.