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Kontroll-Illusion

  • 6 min read

Karl Lagerfeld soll einmal gesagt haben, dass Menschen, die im Alltag Jogginganzüge tragen, die Kontrolle über ihr Leben verloren haben. Eine amüsante Vorstellung, wenn man sich die Anzahl der in der freien Wildbahn zu sehenden Freizeit- und Sportanzugträger zu Gemüte führt (einige sind millionenschwere Rapper – aber eben nicht alle).

Unter Kontrolle

Was bitte ist denn Kontrolle? Was muss ich kontrollieren? Muss ich alles unter Kontrolle haben? Und was habe ich davon? Was kostet es mich und was bringt es mir?

Zum Beispiel

Wenn ich eine Veranstaltung organisiere, die eine begrenzte Anzahl von Plätzen hat und für die ich einen Eintrittspreis verlange, möchte ich wahrscheinlich sicherstellen, dass nur die Personen an ihr teilnehmen, die ein gültiges und bezahltes Ticket vorweisen können. Das würde ich kontrollieren wollen. Und es ist wahrscheinlich, dass mir das gelingt, wenn ich am Zugang zum Veranstaltungsraum eine Person installiere, die einerseits gültige Tickets verkauft und andererseits die Gültigkeit der im Vorverkauf erworbenen Tickets auf welche Weise auch immer überprüft.

So weit so gut. Müsste ich dann nicht auch diese Person kontrollieren? Kann ich ihr vertrauen? Sie könnte ja eingenommenes Geld abzweigen oder Freunde und zwielichtige Gestalten einfach so einlassen.

Vertrauen ist gut…

Sie sehen möglicherweise schon an diesem Beispiel, dass Kontrolle besser ist als Vertrauen. Vertrauen ist gut, sagt der Volksmund, Kontrolle ist besser.

Dabei könnte wir es bewenden lassen. Tun es aber nicht. Wenn Kontrolle nämlich so gut ist, dann müssten wir doch alles unter unsere Kontrolle bringen, oder?

Where Attention goes…

Die Sache hat, wenn wir sie weiterspinnen, einen großen Haken. Kontrolle braucht unsere Aufmerksamkeit (und geeignete Instrumente, die wiederum unsere Aufmerksamkeit benötigen). Und wo unsere Aufmerksamkeit hingeht, dahin geht auch unsere Energie.

Ist die Energie dann dort, fehlt sie an anderer Stelle, wenn ich es mit der Kontrolle ernst nehme. Wenn ich meine Aufmerksamkeit einer Sache widme, steht sie für eine andere Sache nicht zur Verfügung.

Wenn ich mich nur auf die Einlasskontrolle und die Kontrolle des Einlasskontrolleurs konzentriere, kann ich mich nicht um den Show Act, die Technik oder die Gäste kümmern.

Kontrollverlust, äh -abgabe

Wenn ich darauf vertraue, dass alles gut wird und ich die Kontrolle abgebe, was sollen denn dann die Nachbarn sagen? Der lässt sich die Sache aus der Hand nehmen. Er hat seine Leute nicht im Griff.

Im Griff

Im Griff haben ist übrigens ein schönes Bild. Wenn ich jemanden im Griff oder Zugriff habe, dann halte ich ihn in gewisser Weise fest. Das heißt, ich bin quasi da, wo er ist (mindestens gedanklich) und er oder sie erfährt einen eingeschränkten Bewegungsradius (räumlich wie gedanklich). Dinge, Ideen, Lösungen etc. können nur insoweit entstehen, wie es mein Griff zulässt.

Ich schränke die Kreativität und Beweglichkeit eines anderen Menschen ein (fraglich wie stark das möglich ist – in hierarchisch organisierten Umfeldern oder strengen Familien klappt das bestimmt gut) und gebe wertvolle Energie ab, die mir für eigene „schöpferische“ Tätigkeiten dann fehlt. So hat keiner etwas davon.

Freiheit – ein wegloses Feld…

Nicht umsonst hat Vertrauen eine enorme Entlastungs- und Freiheitserhöhungsauswirkung. Die Kunst ist es, eine Balance, eine Variabilität und Flexibilität an den Tag zu legen, um Kontrolle auf der einen und Vertrauen auf der anderen Seite austariert.

Ein Gebet (ich weiß gerade nicht von wem es ist) geht folgendermaßen:

Herr, lass mich die Dinge ändern, die ich ändern kann, die Dinge so lassen, die ich nicht ändern kann und hilf mir beides voneinander unterscheiden zu können.

Und es gibt so viele Dinge, die wir nicht kontrollieren können, aber es nicht wissen oder nicht glauben wollen.

Keine Ahnung

Nicht wissen, weil wir es halt eben nicht wissen, weil wir uns vielleicht nicht mit den dazu nötigen (Hintergrund-)Informationen versorgt haben.

Glauben, weil wir uns gar keine tieferen Gedanken darüber gemacht haben. Oder weil andere es auch glauben oder, weil es irgend so ein Reflex aus der Steinzeit ist, der das Ruder übernimmt. Oder, weil es immer schon so war.

Neulich in Springfield

Kennen Sie die Szene aus dem Vorspann der Simpsons, wo Marge das Auto der Familie lenkt und Maggie, das Baby, an einer Lenkrad-Attrappe sitzt und fleißig (mit)lenkt und hupt? Maggie glaubt, sie dreht am Lenkrad und der Wagen ändert entsprechend die Richtung.

Wahrscheinlich glaubt sie das. Viel wahrscheinlicher ist, dass es ihr egal ist und sie einfach Spaß hat ihre Mutter zu imitieren. Und weil das Lenkrad bunt ist und das Hupenimitat coole Geräusche macht. Lustig, oder? Kindlich, gell?

Nicht komisch!

Komischerweise scheinen viele von uns zu glauben, dass der Fahrstuhl schneller kommt, wenn man fester oder häufiger auf diese Taste drückt. Oder, dass die Fußgängerampel schneller auf grün springt, wenn sie die Taste länger, stärker oder häufiger drücken.

Noch komischer ist: Das heftige Drücken zeigt nicht die gewünschte oder erwartete Wirkung. also wird noch schneller und heftiger gedrückt.

Die Illusion

Wir glauben, dass wir Dinge beeinflussen und kontrollieren können, obwohl dem absolut nicht so ist. Vielleicht, weil wir glauben wollen, dass alles kontrollierbar ist, dass wir alles beeinflussen können – wenn wir nur wollen. Und deshalb verschwenden wir so häufig unsere Energie an eine Illusion – die Kontrollillusion.

Weg damit!

Es wäre ja ganz einfach, dieses Loslassen. Anzunehmen, dass einige oder sogar viele Dinge wunderbar laufen, wenn man sie lässt. Flüsse und Bäche zum Beispiel… früher dachte man: lass es uns dem Bach einfacher machen und seinen Lauf begradigen. Heute weiß man, dass das Bullshit ist und renaturiert Fluss- und Bachläufe, weil es wegen der Begradigungen viele unschöne Nebeneffekte gab für Flora und Fauna – und durch Überflutungen auch für den Menschen.

Muss man aber nicht…

Nicht alles, was kontrollierbar ist, ist auch gut, wenn es kontrolliert wird. Wasser kocht nicht, wenn man zusieht. Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht. Es gibt unzählige Beispiele.

Manch ein Kunde traut ja dem Mechaniker nicht und würde gerne bei der Wartung und Reparatur zusehen oder mithelfen. Die Werkstatt meines Vertrauens bietet diese Option an, allerdings erhöht sich dann der Stundensatz des Mechanikers um 100%.

So oder auch so

Manche Menschen arbeiten besser und kreativer, wenn sie nicht kontrolliert werden. Manche aber auch nicht.

Die Kunst ist es, das zu erkennen, was wir kontrollieren können und was nicht. Was wir nicht kontrollieren können sollten wir dann einfach so stehen lassen und uns um die schönen und wichtigen Dinge kümmern – also uns unsere Kontrollenergie komplett sparen und / oder in sinnvolle Aktivitäten lenken.

Bei den Dingen, die wir kontrollieren können, sollten wir uns regelmäßig fragen, ob wir sie überhaupt kontrollieren müssen.

Leichter: Laufen lassen!

Wenn Dinge von selber laufen – in unserem Sinne und ohne weiteres Zutun – warum dann eine Kontrollinstanz einziehen? Das wäre Energie- und Zeitverschwendung.

Zeit, die wir uns sparen und uns dadurch das Leben erheblich leichter machen können.