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Konformität, Kuschelkurs und kompromissloser Konsens

  • 4 Minuten Lesezeit

Es war, wenn ich mich recht erinnere, Earle Nightingale, der sagte, dass (sinngemäß) eine Sache die wirksamste Bremse für Wachstum und Kreativität ist: Konformität.

Lange Zeit dachte ich, dass Konfliktfreiheit eine feine Sache ist und der Konsens, mindestens aber ein feiner Kompromiss erstrebenswert und damit irgendwie welt- und organisationsverbessernd sei.

Die Sache mit dem Konflikt

Spätestens mit der Lektüre von Lencionis Werk zu dysfunktionalen Teams dämmerte es mir: Ohne Konflikte, ohne die entsprechende Reibung und wenn es quasi nur noch kuschelig im Team oder der Organisation ist bzw. wirkt, kann man Veränderung aus dem Vokabular streichen.

Dabei geht es nicht darum, dass alles „doppelt so besser“ ist mit vielen und großen Konflikten. Absolut nicht.

Beobachtung

Es geht (mir) um ein Phänomen, welches mir in einem Führungskräftetraining über das Flipchart bzw. die Moderationskarten lief.

Das ging so: Erfahrene Führungskräfte eines großen Unternehmens sollten und wollten nach Erreichen der nächsten Karrierestufe einen Führungsboxenstopp machen und sich ergänzend auf ihre neue Rolle vorbereiten, in der sie jetzt auch Führungskräfte zu führen hatten.

Einschub

Wem der Eindruck entsteht, dass es sich um ein eher großes, ein eher hierarchisch aufgebautes und geführtes Unternehmen mit einer langjährigen Firmengeschichte handelt, könnte richtig liegen.

Allerdings sind meine Aha-, Oho- und Ohjee-Erlebnisse bestimmt auch in anderen Organisationen so oder ähnlich auffindbar.

Nun..

Da man andere (bekanntlich) nur dann gut führen kann, wenn man sich selbst gut führt, haben wir uns auch kurz mit Führungsstilen im Allgemeinen und dem individuellen Führungsstil der Führungskräfte beschäftigt. Das alte Managerial Grid lässt grüßen, vier Felder helfen bei der Erklärung der Welt;-)

Nun begab es sich, dass wir die eigene „Einstufung“ (also das Testergebnis) besprachen.

Sehr interessant…

war, dass alle TeilnehmerInnen die mit Abstand deutlichste Ausprägung beim kooperativen Führungsstil hatten. Laissez faire – nada, hierarchisch-diktatorisch – niente.

Was auf der einen Seite ganz fein ist, zeigt sich von der anderen Seite als nicht ganz ohne.

Aus Beratersicht

Gut könnte sein, dass die sich die Unternehmenswerte in der Führung und somit auch in der Kultur und im Klima wiederfinden lassen. Eine Konsistenz bzw. eine Arte Kongruenz. Das passte perfekt dazu, wie ich (durch die Beraterbrille) die Organisation erlebte: Angenehm, menschlich, werteorientiert, respektvoll, auf Augenhöhe.

Obacht!

Nachdem ich mich darüber gefreut hatte, leuchteten auf meinem Nachtigallickhördirtrapsen-Dashboard einige bunte, allerdings nichtgrüne Lämpchen auf – auch genährt durch die richtig gute und kontroverse Diskussion mit den TeilnehmerInnen.

Die Masterfrage:

Ist es gut, und wenn ja, wie gut ist es wirklich, wenn alle nur kooperativ führen (können)? Bzw. ist es gut, wenn alle Führungskräfte sich in der einen gleichen Ecke von Blakes und Moutons (ja, ich weiß, das ist alt – aber es ist halt schön anschaulich) Spielfeld wiederfinden?

Einschub

Bevor es weiter geht eine wahrscheinlich nicht ganz unwichtige Sache: In dieser Organisation erreichen die (internen) Kräfte die jeweils nächste Stufe nach Durchlaufen eines speziellen Assessment Centers. Will heißen (persönliche Einschätzung von mir!): Nur der gewünschte / bevorzugte Führungsstil kommt weiter. Das wäre ein Grund für die Häufung bei „kooperativ“.

Jetzt aber

Dazu meine Gedanken, Bedenken, Vor-Urteile und sonstigen Einfälle in einer nicht strukturierten und nicht priorisierten Liste, die gleichzeitig als Reflektions- und Diskussionsimpuls dienen darf:

  1. Der Fokus auf Kooperation in der Führung und der damit verbundene Fokus auf den Konsens (siehe die dazu passende Konfliktmatrix) und Win-Win-Situationen führt zu überlangen Abstimmungen und Diskussionen. Der kleinste gemeinsame Nenner siegt mit Blick auf das Win-Win-Primat.
  2. Eine gelebte Führungsstil-Monokultur (speziell die kooperative) verringert die für Veränderung und Entwicklung wesentlichen Konflikte.
  3. Nicht thematisierte Konflikte und Differenzen werden nach außen weggekuschelt, bleiben aber im Individuum und in der Organisation. Sie wachsen und warten quasi darauf zu einem ungünstigen Zeitpunkt geweckt zu werden.
  4. Führungskräfte, die sich nur in einem Quadranten befinden, verfügen nicht über die Klaviatur, die Instrumente, um situativ zu führen – also auch mal klare Ansagen zu machen.
  5. Führungskräfte, die sich nur in einem Quadranten befinden, werden es vermutlich schwerer haben, wenn sie nicht kooperativ geführt werden. Je höher im Organigramm, desto wahrscheinlicher.
  6. Wichtige Entscheidungen (speziell unpopuläre) werden aufgeschoben bzw. halbkonsequent umgesetzt.
  7. Mittelfristig dürfte das zu einer unzureichenden Anpassungsfähigkeit bzw. zu geringen Veränderungsinitiative führen und dadurch das Schieflagenrisiko für die Organisation erhöhen bzw. den Vorsprung vor dem Wettbewerb – so denn vorhanden – schmelzen lassen.

Dieser Beitrag ist zuerst bei diesem LinkedIn erschienen. Dort finden sich einige sehr bereichernde Ergänzungen und Anmerkungen zu diesem Thema.