Culture eats Strategy for Breakfast, hat Peter Drucker einst gesagt. Auf unsere Fragestellung übertragen bedeutet das: Ohne Kultur, keine Innovation (und sonst auch nicht viel).
Was zu einer guten Kultur führt, die Teamarbeit, Kooperation und Freude an der Arbeit fördert, hat sich die sogenannte Neurowissenschaft vor einigen Jahren etwas genauer angeguckt. Ein Ergebnis dieser Forschungen ist das sogenannte SCARF-Modell.
Das SCARF-Modell hilft, die Bedürfnisse und Motive der Teammitglieder anzuerkennen und eine innovations- und veränderungsförderliche Kultur dadurch zu schaffen, dass sie entsprechende Anreize schafft und Bedrohungen verhindert.
Die Wurzeln des SCARF-Modells
Die moderne Hirnforschung hat herausgefunden, dass die Kooperationsbereitschaft und eine konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit von und mit Menschen am besten dann gelingt, wenn bestimmte Grundbedürfnisse erfüllt sind. Dadurch wird auch eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Change- und Innovationsprozesse geschaffen.
Die Stärke bzw. Ausprägung des Widerstandes wird dadurch bestimmt, inwieweit wir unsere Bedürfnisse bedroht fühlen. Unsere Kooperations- und Lernbereitschaft steigt hingegen, wenn wir eine Stärkung und damit Unterstützung unserer Bedürfnisse erfahren. Eine empfundene Bedrohung erhöht also den Widerstand und die Ablehnung, ein passendes Stärkungs- und Belohnungssystem hingegen führt zu einer verbesserten Kooperation und ist geeignet, Kreativitäts- und Lernprozesse anzukurbeln.
Auf Basis dieser Erkenntnisse ist das sogenannte SCARF-Modell entstanden. SCARF ist dabei die Abkürzung bzw. das Akronym für Status (Status), Certainty (Sicherheit), Autonomy (Autonomie), Relatedness (soziale Verbundenheit), Fairness (Fairness).
Das SCARF-Modell geht auf die Forschungen von David Rock, seiner Frau Lisa und Jeffrey Schwartz zurück. Im Jahre 2006 entstand auf dem Weg zu einer höheren Wissenschaftlichkeit im Bereich der sogenannten Soft Skills und in Verbindung mit dem Bestreben Change Projekte nicht nur für Führungskräfte effizienter und effektiver zu gestalten der Begriff NeuroLeadership.
Bedrohung vs. Belohnung
Wir Menschen versuchen Bedrohungen zur vermeiden und sind bestrebt Belohnungen zu erhalten bzw. diese zu vermehren. Jede Information, die auf uns zukommt, wird in aberwitziger Geschwindigkeit unbewusst danach bewertet, ob es sich um eine Bedrohung oder aber eine Belohnung handelt. Ein Muster, das unserem uralten Betriebssystem stammt – aus einer Zeit, in der es schlichtweg ums Überleben ging und ein zu langes Zögern tödlich sein konnte.
Dieses Betriebssystem ist zwar mindestens 10.000 alt, aber an den archaischen Grundmustern hat sich nichts geändert – genau diese Mechanismen finden wir im SCARF Modell wieder. Und wenn wir diese Mechanismen bei uns und bei anderen erkennen, können wir sie uns zunutze machen und so Kooperation, Veränderung und Innovationen ermöglichen und vereinfachen.
Wichtig ist dabei allerdings zu wissen, dass das Ausmaß einer Empfindung hinsichtlich der Tatsache ob und des Ausmaßes wie stark eine Bedrohung empfunden wird, eine höchst subjektive und individuelle Angelegenheit ist. Was der eine als lebensgefährlich empfindet kann für den anderen eine zu vernachlässigende minimale Sache sein
Ziel bzw. Ansatz des SCARF Modells ist es also auf der einen Seite zu erkennen, wo Bedrohungen vorhanden sein können und diese zu reduzieren bzw. zu vermeiden. Auf der anderen Seite gilt es Belohnungen zu realisieren. Die Priorität liegt dabei darauf, zunächst die (subjektiv empfundenen) Bedrohungen auszuschalten und eine Art Psychologischer Sicherheit zu erzeugen. Ist das gewährleistet, kann darauf aufbauend dafür ein Belohnungssystem erfolgreich greifen.
Die SCARF-Einflussfaktoren im Einzelnen
Status – Wie wichtig bin ich in Bezug auf andere?
Eine mögliche Bedrohung unseres Status kann aus Anweisungen und Ratschlägen kommen, die aus unserer Sicht nicht auf Augenhöhe passieren. Anweisungen und Ratschläge, die wir als belehrend empfinden können und den Eindruck haben, jemand könnte uns nicht als kompetent wahrnehmen. Oder Feedback wird nicht wertschätzend gegeben und kann zu Missverständnissen führen.
Der Status ist nicht selten dann bedroht, wenn sich im Zuge von Veränderungsprozessen oder Umorganisationen veränderte Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten ergeben. Kompetenzen können sich (gefühlt) zum Negativen verändern, Verantwortungsbereiche werden reduziert. Eine verständliche Reaktion ist dann Abwehr und Widerstand.
Die gefühlte Bedrohung reduzieren und die Wertschätzung erhöhen können wir durch entsprechende Aufmerksamkeit den Beteiligten gegenüber, durch wertschätzendes und gutes Feedback sowie dadurch, dass wir die Weiterentwicklung dieser Teammitglieder unterstützen und ihre Kompetenzen anerkennen.
Certainty (Sicherheit) – Wie gut und zuverlässig können wir die Zukunft im Hinblick auf Situationen und das Verhalten unserer Kollegen und Mitmenschen vorhersagen?
Bedroht fühlen wir uns grundsätzlich in Situationen, die wir als unsicher empfinden. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn wir keine oder widersprüchliche Informationen (zum Beispiel in Veränderungsprojekten) bekommen, wenn uns Ziele und Strategien unklar oder nicht kommuniziert worden sind und wenn gepredigtes Verhalten oder Werte nicht vorgelebt werden. Oder, wenn wir unseren Job gefährdet sehen.
Sicherheit oder das Sicherheitsgefühl lässt sich durch Transparenz, Klarheit und eine klare und verbindliche Kommunikation herstellen – und dann, wenn Ansagen und Forderungen auch vorgelebt werden.
Klarheit in der Kommunikation und Kongruenz im Verhalten bedient die Belohnungsseite. Das gilt auch dann, wenn es keine aktuellen Mitteilungen gibt und genau das thematisiert wird: Der Status, dass keine Informationen vorliegen, wir aber auf dem Laufenden gehalten und dann informiert werden, wenn es etwas Neues gibt, fördert das Sicherheitsempfinden.
Autonomy (Autonomie) – Wie ausgeprägt ist die Möglichkeit, Dinge mitbestimmen und selbst gestalten zu können?
Unsere Autonomie wird insbesondere durch eine Kontrolle von außen und die dadurch entstehenden und empfunden Zwänge bedroht. Wir empfinden unsere Eigenverantwortung und Selbstbestimmtheit als eingeschränkt.
Häufig werden in diesem Zusammenhang ergänzend wenig sinnhafte und Ressourcen verschwendende, kleinteilige Tätigkeiten genannt, die unsere Autonomie einschränken – die Bedrohung durch Mikromanagement.
Dagegen wird unser Bedürfnis nach Autonomie unterstützt, wenn wir die Chance haben, selbstständig und eigenverantwortlich zu arbeiten und zu lernen, wenn wir uns selbst organisieren können und ausreichend Gestaltungs- und Spielräume vorfinden. Damit einher geht der Ruf nach einer positiven Fehlerkultur, die das Lernen aus Fehlern unterstützt und fördert.
Realatedness (soziale Verbundenheit, Zugehörigkeit) – Wie stark fühlen wir uns mit unserem Umfeld verbunden und ihm zugehörig?
Eines der wichtigsten Bedürfnisse des Menschen als soziales Wesen ist das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Verbundenheit. Fehlende Verbundenheit führt zu Isolation und Vereinsamung, welche wiederum das Verbundenheitsgefühl reduzieren.
Eine Bedrohung der Verbundenheit ist gegeben, wenn wir absichtlich oder unbeabsichtigt ausgegrenzt werden. Sei es, dass wir nicht zu bestimmten Meetings eingeladen werden oder unser Büro / Abteilungsstandort räumlich zu weit von den anderen Kollegen im Abseits liegt.
Die Bedrohungen reduzieren und geeignete Belohnungen schaffen wir hingegen durch den Aufbau eines Wir-Gefühls. Ohne gute Kommunikation wird das kaum gelingen.
Schließlich ist es eine Aufgabe des Unternehmens und der Führungskräfte aktiv und authentisch allen Mitarbeitern das Gefühl zu geben, dass sie ein wichtiger Teil des Teams und der Organisation sind.
Fairness – Wie fair werden wir von den anderen behandelt? Wie fair wird mit uns umgegangen?
Tief in uns ist der Wunsch, das Bedürfnis nach Gerechtigkeit verankert. Ist sie bedroht, wird es schwierig bis unmöglich Kooperation zu erfahren. Widerstand ist die übliche Antwort.
Bedroht wird das Bedürfnis nach Gerechtigkeit und Fairness durch gefühlte Willkür. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn (objektiv) gleiches Verhalten mit unterschiedlichen Konsequenzen beantwortet wird und / oder diese für die Beteiligten nicht nachvollziehbar (oder überhaupt nicht) begründet werden.
Die Bedrohung lässt sich aber reduzieren oder sogar vermeiden, wenn es Klarheit und gute, wertschätzende und gewaltfreie Kommunikation gibt: Klare und klar kommunizierte Regeln und Klarheit über die gegenseitigen Erwartungen im Unternehmen und im Team. Jeder wird einbezogen, Entscheidungen sind nachvollziehbar – auch wenn es nicht immer angenehme Konsequenzen hat.
Nutzen für Change und Innovation
Das SCARF-Modell hilft dabei, die Grundvoraussetzungen für Kooperation und Lernen bei den Menschen speziell und in der Organisation allgemein zu schaffen. Es hilft dabei, die archaischen Veränderungsblockaden und Anreize der Mitarbeiter zu erkennen und wertschätzend und zielführend damit umzugehen. Aus meiner Sicht ist das einer der wichtigsten Schlüssel zu einer guten Innovations- und Veränderungskultur.
Damit das in der Praxis auch gelingt, müssen Führungskräfte und Team-Mitglieder sich in guter Kommunikation über, denn ganz von alleine führen diese Erkenntnisse nicht zum Erfolg. Klarheit und Verständnis erreichen wir über das Vehikel der Kommunikation.
Die gute Nachricht ist: Bereits mit einigen wenigen und zudem sehr einfachen Mitteln lässt sich ein großer Beitrag zum gegenseitigen Verständnis und zur Förderung einer innovationsfreundlichen Unternehmenskultur leisten.
…und um Kultur und gute Fragen bzw. gutes Fragen geht es im dritten Teil dieser Miniserie, die am Stück und zusammengenommen meinen Beitrag zum Buch „Unternehmen am Abgrund? 11 geniale Wge das Ruder herumzureissen“, herausgegeben von André M. Beier darstellt – und insgesamt 11 tolle Menschen haben dazu beigtragen!