Manchmal vergessen wir etwas. Und vergessen dann, dass wir es vergessen haben. Nicht jeder der vergisst muss zwangläufig dement sein oder über ein „per se schlechtes“ Gedächtnis verfügen. Und wer bestimmt eigentlich was ein schlechtes Gedächtnis ist? Ich habe da so eine Ahnung… viel hilf ja bekanntlich viel. Und mehr ist besser. Daher – der konsequente Schluss: Wenn ich mir viel merken kann, dann ist das gut.

Nicht umsonst können Gedächtniskünstler und Gehirnakrobaten die Massen begeistern (beim Gehirnakrobaten habe ich immer so ein Bild vor Augen wo jemand mit 5 bis 7 Gehirnen auf der Bühne stehend jongliert, aber ich schweife ab…)

Aufgemerkt

Merken und Wissen liegen spontan gedacht dicht beieinander: Wenn ich mir viel merken, also, wenn viel Zeugs in meinem Kopf vorhanden UND schnell abrufbar ist, dann weiß ich viel. Und wenn ich viel weiß habe ich gute Chancen bei Günther Jauch Telefonjoker zu werden (kann man das studieren? Diplom-Telefonjoker? Macht das Sinn, wo doch alles in der großen Maschine von Larry und Sergej auffindbar ist?). Viel wissen ist gut, sagt man. Und je mehr man weiß, desto besser. Aber das sagte ich schon.

Nie genug

Der Haken an diesem „mehr-ist-besser“ führt zu der Fehlwahrnehmung, dass es einem nie reicht. Ersten verpasst man was, was wichtig sein könnte (Frage: Was bitte ist wichtig? Kommt „wichtig“ nicht von „Wicht“? Die sind ja bekanntermaßen eben eines nicht, nämlich wichtig) und damit den Anschluss. Wobei einem niemand sagt, was der der Anschluss so ist. Das ist häufig auch gar nicht so wichtig, denn ein ganze „Industrie“ lebt davon Wissen oder Impulse oder Skills oder was auch immer man als solches bezeichnet, zu verkaufen, äh vermitteln.

Neugier(de)

Ist ja nicht schlimm, wenn Du weißt, dass es Dir etwas bringt, es Deinen Wissensdurst, Deine Neugier stillt und Du es auf dem Weg zu Deinem Ziel (ich hoffe, Du weißt was Dein Ziel ist) gebrauchen kannst. Kann man auf Vorrat anhäufen, aber die Sache mit dem Gedächtnis ist ja die: Was Du nicht brauchst oder trainierst, verkümmert. Du verlernst. Jeder, der mal bulimisch für eine Prüfung gelernt hat kennt das: Lernen bis einem schlecht wird, zur Prüfung alles herausbrechen und dann mit leerem Magen weiterleben.

Goldfische

Was noch passiert: Man sagt zwar, dass unser Gehirn schier unermessliche Kapazitäten hat. Man sagt aber auch, dass die zur Verfügung stehende Kapazität zur Informationsverarbeitung überschaubare Grenzen hat. Dem in die Karre fährt das Überangebot an sogenannten „Informationen“, die einen immer höheren visuellen Anteil haben und uns soweit fordern, dass die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne bei uns mittlerweile auf dem Niveau eines durchschnittlichen Goldfischs liegen soll: 8 Sekunden so ungefähr.

Dennoch wollen wir mehr. Das ist dann so wie mit dem ohnehin schon vollen Bierglas, in das wir noch mehr hineinzapfen wollen. Voll ist voll, der Rest läuft über. Und wir wundern uns auch noch…

Skills und Gewohnheiten

Nicht nur beim Wissen auch bei den „Skills“ oder Fähigkeiten (und Gewohnheiten) ist es so: Es scheint nur eine Richtung zu geben: Mehr. Und schneller und besser. Auch auf Vorrat. Aber hey, wie war das mit dem Zeugs auf Vorrat und der Wissensbulimie? Es bringt nichts, wenn man es nicht gebrauchen und einsetzen kann. Viel rein, wenig raus – führt zu Staus (oh, eine sich reimender Wortwitz).

Gleich und gleich

Da gleich und gleich sich gerne gesellen und wir das erkennen, was wir bereits kennen, bekommen wir lern- und wissenstechnisch mehr vom selben. Ganz einfach und automatisch. Das ist normal. Leider. Zusätzlich suchen wir bewusst und aktiv (manche laufen im Autopilotmodus und merken nicht, dass da etwas „aktiv“ ist) nach Informationen, Wissen, Skills, die uns darin bestätigen, dass wir „richtig“ unterwegs sind. Es wäre ja auch zu blöd, wenn sich herausstellen sollte, dass etwas auch gaaaaanz anders ist – oder sein könnte.

Platz da!

Wie will ich also etwas „Neues“ erlernen, wenn ich etwas Altes nicht loslassen oder verlernen kann (oder will)? Hinzufügen von (kleineren) Einheiten „Neu“ treffen auf einen vollen Kopf mit „Alt“. Platz ist kaum, einen größeren Kopf gibt es erstmal nicht – das verhindert die Evolution, weil ein größerer Kopf nicht durch den Geburtskanal passt… da ist halt irgendwann Schluss mit der Entwicklung.

Also kein Platz… Und: Wir vergleichen alles mit dem uns bisher Bekannten – und bewerten nach gut oder schlecht. Im Zweifel entscheiden wir uns für bekannt = gut. Und es bleibt alles wie immer.

Anfängergeist!

Im Zen gibt es so etwas wie den Anfängergeist. Den benutze ich hier mal für meine Zwecke. Und zwar so: Wenn ich so tue als wüsste ich nichts und alles wäre neu für mich (leerer Kopf und so) dann habe ich gute Chancen etwas Neues zu erleben, etwas Neues zu gestalten, andere als die bekannten Wege zu gehen und Möglichkeiten zu finden statt Grenzen – die meisten sind ja ohnehin irgendwo zwischen den Ohren.

Und jetzt?

Tue doch mal so, als wüsstest Du nix, als wäre alles neu. Tue so, als müsstest Du etwas einem Außerirdischen oder einem kleinen Kind erklären. Mach mal einen Wissens-Konsum-Retreat: Weniger Input, dafür Stille und selbst mal etwas „schöpfen“ – ohne es zu googlen, wie man das denn macht.

Mach einmal genau das Gegenteil, von dem wie Du es bisher gemacht hast. Erlaube Dir unnützes Wissen, ungute Gewohnheiten* zu verlernen. Das schafft Freiraum, eine ballastfreie Behausung im Kopf… und wenn etwas Neues kommt, dass Du brauchst, weil es Dich einen Schritt voranbringt, dann hast Du dafür Platz.

Das ist sowie den Kleiderschrank aufzuräumen.

Naja, fast…

 

 

*P.S. Da ist noch etwas mit den Gewohnheiten, was mir gerade einfällt. Die heißen so, weil uns gar nicht bewusst ist, was denn zu unseren Gewohnheiten zählt. Die sind so eingeprägt und geschliffen, dass wir erst merken, dass wir eine Gewohnheit haben, wenn wir mal genau das Gegenteil tun. Autopilot. Das werden wir aber nie tun, weil wir eben nicht wissen, dass es eine Gewohnheit ist (oder sie ignorieren) – bis jemand uns darauf hinweist UND wir offen sind das mit dem Gegenteil mal zu probieren… Dazu gibt es gewiss in einem der nächsten Beiträge etwas – zu lesen oder zu hören.