Selbstverständlich oder beinahe selbstverständlich hat es um den Jahreswechsel etwas, von dem es mehr gibt als zu anderen Zeiten. Es ist die Hochzeit (gesprochen mit langem „o“) der Selbstoptimierung. Oder das dringende Verlangen, die gewohnheitsmäßig und lasterhaft in den Graben gefahrene Karre wieder aus dem Dreck zu ziehen.

Nicht neu

Selbstoptimierung machen wir ja schon lange. Weil: Irgendwas ist immer noch nicht gut genug und muss besser werden. Die Disziplin im Zusammenhang mit der Ernährung, dem Aufstehen, Mindset, Sport, Lernen – oder Schreiben. Je nach dem.

Nicht genug, dass fast alles, was mit einer Pflicht (Ausprägung „unliebsam“), zu tun hat, uns ohnehin schon gefühlte 400 Tage im Jahr quält, auch noch in Ziele und Vorsätze gepackt wird. Wir sind versucht, unsere Listen (lang und schmutzig äh anstrengend) in mehr oder weniger sozialen Netzwerken zu verteilen und damit um Likes zu heischen.

Gute Absichten?

Möglicherweise helfen diese dem eigenen Ego zur Bestätigung der eigenen guten Absichten – und der klug und vorbildlich gewählten Herausforderungen. Die werden dann exhibitionstisch diskutiert, wobei Seite A meint, das da noch was geht und Seite B die Anpassung auf erreichbare Größe und insgesamt kürzere Listen empfiehlt, damit es halt einfacher ist. Und niemand frustriert ist.

Gesänge

Aber hey, wen interessiert am Dreikönigstag noch die schlaue und viel diskutierte Liste von Silvester? Niemand! Wer fragt Dich am Ende des Jahres, ob und was Du so erreicht hast? Niemanden. Da wird dann kollektiv in den Chor des Selbstmitleids eingestiegen. Und die nächste Vorsatz- und Selbstoptimierungsherausforderung vorbereitet.

Social Proof

Doch Hand aufs Herz (falls vorhanden – also das Herz): Für wen machen wir das? Klar, Social Proof ist so eine Sache. Ich habe es allen erzählt, dann werde ich das auch durchhalten. Die Wahrheit: Bullshit. Macht keiner. Und weil das einige Kluge schon gemerkt haben, gibt es jetzt Challenges.

Damals

Ok, die gab es schon zu Zeiten der Römischen Kaiser, aber da ging es noch was. Ruhm und Ehre. Und Überleben im Römischen Reich. Heute geht es mehr um Rum und Ähre – und Überleben im Bällebad. In den Netzwerken. Keine Likes bedeuten den sicheren Tod für viele. Viele Egos.

Zurück

Aber zurück zur Challenge. Wer es selbst nicht auf die vielzierte Kette kriegt und keinen Plan hat, der kann an einer 21-Day-Challenge zum Thema Mindset, Abnehmen, Kniebeuge, Liegestütze, kalter Entzug (Pizza / Süßigkeiten), Joggen und Ähnlichem teilnehmen. Zutreffendes bitte ankreuzen. Oder an beliebigen anderen. Online meistens. Da ist man dann nicht so allein mit den Zielen.

Selbst?

Die Sache mit der Selbstoptimierung ist so eine Sache (das ist absichtlich so geschrieben): Keiner weiß so richtig was denn sein Selbst so ist. Mögliche Antworten sind Körper, Geist, Seele, alles zusammen oder keine Ahnung. Zugegeben, es ist nicht nur schwierig sondern würde auch an dieser Stelle zu weit führen das Konzept „Selbst“ nur ansatzweise klar vorzustellen.

Fragestunde

Es geht auch eher darum, sich die Frage zu stellen: Was mache ich da eigentlich? Für wen (mich oder für jemand anders zum Angeben)? Für welchen Teil von mir? Irgendwas innen oder irgendwas außen? Und warum eigentlich? Und was will ich damit?

Zum Kern

So viel sei gesagt: Wenn Du mit Selbst ansatzweise so etwas wie Deinen Kern, Deine Seele, etwas tief in Dir drin – erklärbar oder nicht, aber fühlbar für Dich – verbindest, dann bist Du ganz schön nah dran. Dieses Selbst war mal zart und rein. Und dann haben wir es zivlisiert, erzogen, gebildet, trainiert, eine Persönlichkeit daraus entwickelt. Der Haken oder Kollateralschaden dabei ist: Diese Persönlichkeit, das, was wir leben und scheinen bzw. scheinen wollen, ist weit weg von dem, was manch einer Bestimmung oder Seelenplan nennt.

Deins und nicht Deins

Oder einfach gesagt und unspirituell: Das ist einfach nicht Deins. Und wenn Du Dinge machst, die nicht Deins sind, brauchst Du ganz viel Anstrengung, um voran zu kommen. Fitter oder schlanker zu werden zum Beispiel. Oder fünf Bücher an drei Tagen zu lesen. Andere Dinge, die vielleicht Deins sind, Talente oder sogenannte Gaben sind in Vergessenheit geraten. Oder passen (leider) nicht mehr zu Deiner in all den Jahren entwickelten Persönlichkeit. Glaubenssätze und die Systeme, im denen wir uns befinden, deren Mitglieder wir sind, verhindern so eine Rück-Be-Sinnung und Veränderung („Oh Gott, was sollen denn die Leute von mir halten – dann doch lieber Mainstream bleiben.“).

Doch Deins!

Die Erinnerung und Rück-Besinnung ist gut und nützlich – eine feine Challenge und neu definiert. Damit kann man nur nicht likemaximierend angeben. Das ist der Haken.

Der Nutzen liegt dagegen auf der Hand: Mehr Zeit und Energie Deine wesentlichen Dinge, für Dich selbst, für Dein Selbst.

Selbst gestaltet.