Oder: Was ich dann las, hat mich absolut überrascht!
Wenn Sie es bis hierher geschafft äh gelesen haben, dann haben die Tipps aus dem Ratgeber „Mehr Content-Reichweite durch wahnsinnig tolle Überschriften“ was gebracht.
Scherz teilweise beiseite!
Sie sehen, Authentizität ist gerade ein höllisch wichtiges und interessantes Thema. Deshalb sind Sie hier. Und deshalb habe ich diesen Artikel geschrieben.
Die Authentizitäts-Botschaft ist allgemein so in der Art: „Sei, wie Du wirklich bist, sage, was Du denkst, zeige, wie bist. Sei also glaubwürdig als Person oder als Unternehmen (oder Marke). Dann wirst Du erfolgreich(er) sein“.
So weit so gut – nur zu kurz gesprungen
Glaubwürdigkeit kann, aber muss nicht unbedingt etwas mit Authentizität zu tun haben. Vielmehr kann es sich auch lediglich um eine gut gespielte Rolle oder die konsequente und glaubwürdige Umsetzung einer Vision / eines Mission-Statements handeln. Ein Leistungsversprechen gilt übrigens auch. Glaubwürdig daher im Sinne von verbindlich und konsequent und konsistent.
Ist das denn nicht auch authentisch?
Nö. Jedenfalls nicht so, wie ich authentisch verstehe – und wie manche Definitionen es vorschlagen: Nämlich vom Wesenskern her kommend, wesentlich.
Hä?
Wenn ich eine Rolle gut spiele (wie ein Schauspieler). Dann bin ich als Darsteller authentisch in dieser Rolle. Glaubwürdig, schlüssig, konsistent eben. Ich bin dort aber nicht zwangsläufig authentisch bzw. muss es auch gar nicht sein. Nämlich gerade dann nicht, wenn ich den Abgleich zwischen mir als Person (ohne Rolle) und der von mir dargestellten Person, dem dargestellten Charakter, mache. Das muss nicht wirklich etwas mit „mir“ zu tun haben.
Authentisch wirkt dann das Schau- und Rollenspiel. Das funktioniert auf der Bühne und im Büro ähnlich gut. Das ist gut so.
Allerdings springen die Eingangs genannten „Sei authentisch“-Ratschläge meines Erachtens zu kurz. Wie gesagt: Für Rolle und Rollenspiel passt das. Jedoch ist das Verhalten der Person in Bezug auf sein Wesen eben nicht automatisch authentisch.
Aus dem Nähkästchen geplaudert
Ein Beispiel aus alten Tagen: Ich war mal als Kaufmännischer Leiter tätig. Diese Rolle habe ich recht gut gespielt (finde ich). Und die Erwartungen diverser Stakeholder (Geschäftsleitung, Wirtschaftsprüfer etc.) gut getroffen. Sei es eine ausdrückliche Begeisterung für Zahlen, ein gewisser Perfektionsanspruch, vorhandene, aber nicht überbordende Freude an der Arbeit, Loyalität zum Arbeitgeber, …Sie wissen schon. Auch mal die Meinung gesagt. Aber passend benommen und gut gekleidet. Meistens. Wie gesagt, Rollenspiel.
Irgendetwas in mir hingegen wäre viel lieber den ganzen Tag in der Natur oder Wildnis gewesen, hätte sich mit deren Phänomenen und Schönheit zu beschäftigt und mehr mit Menschen gearbeitet. Anstatt mit Geschäftsberichten oder internen Audits.
Diese Diskrepanz war etwas, das nicht nur letztendlich, sondern grundsätzlich zu viel meiner wertvollen (Lebens-) Energie verbraucht hat. Für Rolle einstudieren und spielen. Die natürliche Seite geht da ungleich einfacher und spielerischer. Und man braucht weniger Kompensations-Rotwein um den „gespielt-authentischen“ Alltag zu ertragen;-)
Sie lachen?
Dann gönnen Sie sich mal eine ruhige Minute und denken darüber nach, was Sie tun, mit wem Sie sich herumtreiben und was Sie konsumieren um den trostlosen Joballtag zu kompensieren – und wo Sie jetzt eigentlich (und mit wem) viel lieber wären. Und was Sie lieber täten.
Klingelts??
Zurück zum Thema: Ich denke, viele von uns machen das ähnlich. Je Lebensbereich eine Rolle. Im besten Fall authentisch im Sinne hoher Schauspielkunst.
Das ist wunderbar. Weil es funktioniert. Reibungslos. Sanktionsarm. Sozial unauffällig. Bequem. Sicher.
Nager und Gewürze
Und da liegt dann auch der Hase im Pfeffer – mit der sich aufdrängenden Frage: Sind Sie, bin ich das wirklich? (Ok, Wirklichkeit ist individuell, subjektiv…aber Sie wissen schon, was ich meine)
Verhalten wir uns rollenauthentisch, damit es wenig bis gar keine (sozialen) Ächtungen, Ablehnung etc. gibt? Oder sind wir eigentlich ganz anders? Ist soziale Anerkennung – ja Konformität – das Primat, das wir über unsere Individualität, Authentizität stellen und genau diese damit verraten und verkaufen? (Ich hätte wohl auch Philosoph werden können!)
Die Grenzen der Authentizität…
Wenn es meine Natur ist, oder ihr sehr nahe kommt, dass ich mich in augenbeleidigenden Farbkombinationen wohl fühle, am liebsten Barfuss laufe und gerne zwischendurch meiner Freude durch naturinspirierte Tänze Ausdruck verleihe und nach dem Essen gerne rülpse – dann bin ich wohl ziemlich authentisch, wenn ich das genau so praktiziere und lebe. Nicht nur im Wald, wenn keiner guckt.
Diese Art der Authentizität wird mir allerdings das Leben ziemlich schwer machen – auch als Genie in einem bestimmten Bereich.
Sie merken, worauf ich hinaus will?
Nah am eigenen Wesen, selbst sein und das zu leben bzw. das so zu zeigen ist gewiss ordentlich authentisch. Eigentlich wollen wird das, oder? Doch keiner will es (bei anderen) sehen oder sich selbst durch authentische Authentizität die Karriere oder die Kreditgenehmigung versemmeln, oder?
Insofern sollten wir die Kirche im Dorf lassen und diesen Begriff weniger inflationär verwenden. Und aufhören zu behaupten Authentizität sei der Erfolgsfaktor.
Ich wiederhole..
Wir wollen alle authentisch sein, haben aber die Handbremse angezogen, wenn es darum geht es zu zeigen. Und niemand will wirklich authentische Menschen sehen. Dazu würde nämlich alles gehören (siehe oben)… auch die jederzeit ausgesprochene, ehrliche Wahrheit. Die will niemand hören. Kann man natürlich alles machen, aber man ist dann – zumindest vorübergehend – recht einsam..
Vorschlag zur Güte und Handhabung
Wie wäre es denn mit gelebter Glaubwürdigkeit und Konsistenz und Verbindlichkeit? Wäre es nicht quasi-authentisch, wenn wir das, was wir sagen wie wir es tun und wann wir es tun, auch genau so tun, wie wir gesagt und bis wann wir haben?
Dann habe ich meinen Frieden mit der Definition von Authentizität und alle bleiben sozial akzeptiert und das System funktioniert weiter wunderbar. Konform halt.
Moment mal…
Wie wäre es denn, wenn wir mal mutig wären… und uns den Kontext suchen oder schaffen, in den wir hervorragend passen und der zu uns passt? Authentisch leben „mit Alles und scharf“. Authentizität first sozusagen.
Das kann klappen! Und seien Sie gewiss: Niemand ist allein! Sie finden schnell Gleichgesinnte. Die Energie, die sonst in das soziale bzw. karrieregetriebene Rollenspiel abfliesst, stünde dann für kreative und schöpferische Prozesse zur Verfügung.
Schöner Gedanke!
(Artikelbild: gratisography.com)